Die Ausstellung Bochum - das fremde und das eigene ist Ankerprojekt von "Fremd(e) im Revier?!", für das sich neun Ruhrgebiets-Archive und ihre Kooperationspartner anlässlich des Kulturhauptstadtjahres erstmalig zusammen geschlossen haben.
Die Bochumer Ausstellung zeichnet in einem weit gefassten historischen Längsschnitt das nicht immer einfache Wechselspiel von ‚fremd’ und ‚eigen’ nach. Sie beginnt in "vorgeschichtlicher" Zeit und lässt ihren Rundgang durch die jahrhundertealte Stadtgeschichte in der Gegenwart enden. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bildet die Hochindustrialisierung, in der mit dem Zustrom arbeitswilliger Menschen die Stadt sich derart veränderte, dass sie ihren "Ureinwohnern" fremd wurde. Sie zeigt auch, wie in der NS-Zeit die Ablehnung des (vermeintlich) Fremden in Ausgrenzung, Ausbeutung und Vernichtung kulminierte.
Bochum - das fremde und das eigene ist die erste und die größte Ausstellung der neunteiligen Kooperation Fremd(e) im Revier?!, einem Projekt der Kulturhauptstadt RUHR.2010. Archive aus dem gesamten Ruhrgebiet und andere Partner zeigen anhand von Archivschätzen und wertvoller Leihgaben die Zuwanderung ins Ruhrgebiet über die Jahrhunderte nach. Dabei zieht sich durch alle Ausstellungen wie ein roter Faden die Frage, welche Mechanismen aus einem kulturellen Neben-/ Gegeneinander ein Miteinander machen.
Fern und Fremd - Die graue Vorzeit Bochums
1964 fand sich während der Erschließung des Universitätsgeländes bei archäologischen Grabungen in Bochum-Querenburg ein kleines Steinwerkzeug. Es handelt sich um einen Schaber aus Quarzit. Weit über 25.000 Jahre ist er alt und damit das älteste von Menschen bearbeitete Objekt, das bisher auf Bochumer Gebiet entdeckt wurde. Er beweist, dass in der Altsteinzeit nicht nur Mammuts und Wollnashörner, sondern auch bereits Menschen hier gelebt haben. Diese Menschen trieben Handel mit anderen Regionen: Der gelbliche Quarzit stammt vom Niederrhein.
Seit den 1920er Jahren führte der Harpener Pastor Karl Leich und später der Direktor des Emschertalmuseums in Herne, Karl Brandt, Grabungen in Bochum durch. Die Funde - Knochen, Feuersteingeräte, Keramik oder auch nur Bodenverfärbungen - sind Zeugen aus Zeiten, die längst vergangen sind. Sie sind zeitlich fern und uns deshalb fremd. Was erfahren wir durch sie über das Leben der Menschen vor 25.000 oder auch nur vor 1.500 Jahren? Ein Bild vom Alltag ergibt sich lediglich schemenhaft, eines der Gefühls- und Gedankenwelt der vor- und frühzeitlichen Menschen kaum.
Kabaukum - (K)ein Ort für Fremde?
Im Verständnis des Mittelalters waren Fremde Menschen unbekannter Herkunft - oder anders formuliert: Auswärtige. Ob jemand ein Fremder war oder Mitglied einer Bürgergemeinde, hatte für seinen Alltag und Rechtsstatus in der Stadt gravierende Folgen. Denn Kommunen unterschieden sehr deutlich zwischen Einheimischen und Auswärtigen.
Bochum, das sich während des 14. Jahrhunderts zur Stadt entwickelte, wurde im Mittelalter gelegentlich "Kopfbucheim" und gegen Ende des 18. Jahrhunderts bisweilen auch "Kabaukum" genannt. Es war wie die anderen Orte am Hellweg das Ziel von Reisenden und fahrendem Volk. Wochen- und die Jahrmärkte lockten Menschen aus der Umgebung an. Doch nicht nur Wohlhabende kamen, sondern auch Arme, Kranke und Heimatlose, die man im Mittelalter als "Elende" bezeichnete.
Um die Bedürftigen kümmerten sich im Mittelalter in erster die Kirchen und fromme Christen, die Almosen gaben, Geld für Armenspeisungen bei Gotteshäusern (wie der Petri- und später der Pauluskirche) spendeten oder sogar eigene Einrichtungen zu deren Betreuung stifteten. Eine solche Stiftung war das 1438 gegründete "Gasthaus" am Katthagen (im Bereich der heutigen Gerberstraße), das nicht etwa der Beherbergung von Reisenden, sondern als Hospital der Versorgung von "ellenden, armen und kranken broidern" diente.
Heinrich Graf Ostermann - Ein Bochumer in der Fremde
Der junge Heinrich wächst in einem bildungsorientierten Pfarrhaus auf. Er besucht das Gymnasium in Soest und Dortmund und beginnt in Jena zu studieren. Nach nur acht Monaten ersticht er, angetrunken und im Streit, einen Kommilitonen und flieht über Amsterdam nach Russland. Begabt für Fremdsprachen, erlernt er rasch auch das Russische. Zar Peter der Große persönlich nimmt sich seiner an und legt den Grundstein zu seiner steilen Karriere. Bereit seiner neuen Heimat zu dienen, arbeitet er sich in alle Gebiete der russischen Politik ein und verfasst zahlreiche Denkschriften.
Die Außenpolitik des Landes sowie Handel und Postwesen werden ihm unterstellt. Als Erster Kabinettsminister ist er schließlich auch für die Innenpolitik zuständig. Er steht zur Westöffnung Russlands und treibt die Reformen Peters I. weiter voran. In ganz Europa genießt er hohes Ansehen. Ostermann handelt auf der Grundlage dessen, was aus seiner Sicht Russland nützt, und wird so auch zum "Zarenmacher" Das ist sein Verhängnis. Elisabeth, eine Tochter Peters I., fühlt sich von ihm übergangen, putscht sich an die Macht und schickt Ostermann in die Verbannung. Dort stirbt er nach fünfeinhalb Jahren.
Kortum und die Welt - Die Faszination des Fremden
Das 18. Jahrhundert war das Jahrhundert der Entdeckungen und der Aufklärung. Die noch fremde Welt wurde von Europa aus erkundet, vermessen und kartographiert. Die "Beobachtungs- und Erfahrungswissenschaften" befanden sich im Aufwind. An Bord der großen Schiffe, die in See stachen, waren Wissenschaftler und Künstler. Während die einen beobachteten, beschrieben und klassifizierten, zeichneten die anderen Land und Leute, Flora und Fauna. Die nach der Rückkehr gefertigten Berichte wurden in ganz Europa begierig erwartet. So hatten die Daheimgebliebenen teil an den Expeditionen nach Übersee und ließen sich von den Entdeckungen in der Fremde faszinieren.
Die mobilen und die stationären Forscher gemeinsam sorgten für die Vermehrung des Wissens der Welt. Seine Verbreitung wurde durch eine Art "Medienrevolution" - die Expansion des Buchmarktes und die Entstehung immer neuer "gemeinnütziger" Zeitschriften - enorm befördert. Die Gelehrten im Europa der Aufklärung - Akademiker und gebildete Laien - waren auf vielfältige Weise miteinander vernetzt. Zu ihnen gehörte der Bochumer Arzt Dr. Carl Arnold Kortum.
Fremd in der Stadt - die fremde Stadt
In den 1840er Jahren nahm die erste Tiefbauzeche Westfalens an der Bochumer Stadtgrenze ihren Betrieb auf. Das "schwarze Gold" versprach glänzend Gewinne und der beschauliche Ort entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten zu einer Großstadt. Bochum erlebte dabei zweifach das "Fremde": durch die Vielzahl von Zugezogenen mit anderem Dialekt, Kleidungsstil, zum Teil fremder Sprache und fremden Gewohnheiten. Und durch den Ausbau der kommunalen Infrastruktur und den Neubau ganzer Stadtteile wie Ehrenfeld oder Stahlhausen.
Beispielhaft für die Bochumer Neubürger wird die Gruppe der Polen und Masuren vorgestellt. Sie unterscheiden sich schon allein in der Sprache von den Bochumer "Urindianern". Die meisten dieser Fremden betrachteten anfangs ihre Anwesenheit im Industriegebiet nur als vorübergehend. Nach einigen Jahren Arbeit wollten sie in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren und sich dort mit dem in der Fremde erarbeiteten Geld eine neue Existenz aufbauen. Viele Altbürger Bochums empfanden die Zuwanderung wie auch die Veränderungen durch Industrialisierung und Urbanisierung oftmals als beängstigend. Die "Heimat Bochum" wurde deshalb auch von ihnen als "Fremde" empfunden.
Fremde Feinde
Menschen anderer Länder und auch deren Staaten können fremdartig erscheinen, unbekannt oder exotisch, auch wenn es sich vielleicht um Nachbarländer und deren Bewohner handelt. Wodurch können diese "Fremden" jedoch zu Feinden werden? Konkurrierende Gebietsansprüche sowie ethnisch-kulturelle und andere Konflikte entwickelten sich häufig in der Geschichte zu Feindschaften und mündeten in Kriegen.
Stellvertretend für kriegerische Auseinandersetzungen steht hier der Erste Weltkrieg (1914 - 1918). Die Auswahl bildlicher Darstellungen aus dem Medien Plakat und der Feldpostkarte verdeutlicht, wie die Bevölkerung in der Wahrnehmung des Fremden als Feind beeinflusst wurde. Der Erste Weltkrieg brachte diese Druckerzeugnisse massenhaft hervor.
Das Eigene und das Fremde im Dritten Reich
Am 30. Januar 1933 erfolgte die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die NSDAP festigte die übernommene Macht in Deutschland durch Verordnungen und Gesetze, Gewalt und Terror, "erzieherische" Maßnahmen, Propaganda und die Mobilisierung der Massen. Unter der Parole "Ein Volk - ein Reich - ein Führer" wurde der gleichgeschaltete Führerstaat propagiert; die "Volksgemeinschaft" wurde konstruiert. Die krasse Unterscheidung des "Eigenen" vom "Fremden" war ein zentrales Merkmal der NS-Ideologie. Die Inklusion der "Eigenen" beinhaltete die Exklusion aller anderen. Viele der aus der "Volksgemeinschaft" Ausgeschlossenen waren hier zu Hause, wie die Mehrzahl der jüdischen Bürger. Im "Dritten Reich" wurden sie "fremd gemacht". Andere kamen als Fremde und sollten es bleiben, wie die Zwangsarbeiter, die im Zweiten Weltkrieg gewaltsam aus ihren Heimatländern verschleppt wurden.
Die Verfolgung der angeblich Fremden wurde von der schamlosen Aneignung fremden Eigentums begleitet, sei es durch "Arisierungen" oder die Ausbeutung der ins Reich geholten "Fremdarbeiter". Aneignungen fand den aber auch symbolisch statt, beispielsweise durch die Umdeutung von Bräuchen und Feiertagen im nationalsozialistischen Sinne.
Fremde - Gäste - Gastarbeiter
1961 schlossen die Bundesrepublik Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen ab. Daraufhin kamen türkische Männer und Frauen auch nach Bochum, um hier zu arbeiten. Der Hauptbahnhof war für die meisten das Eingangstor zur Stadt. Anfänglich planten weder Arbeitgeber noch die Migranten einen längerfristigen Aufenthalt. Dies änderte sich im Lauf der Jahre, und viele "Gastarbeiter" holten ihre Familien nach Deutschland.
2007 waren in Bochum 10.418 Menschen türkischer Nationalität gemeldet, was etwa 2,8% der Gesamtbevölkerung entspricht. Von allen in Bochum lebenden Ausländern macht die türkische Gemeinschaft ein knappes Drittel aus. Sie ist damit die größte Gruppe.
Mit welchen Wünschen und Erwartungen verließen die Menschen ihre Heimat? Was waren ihre ersten Erfahrungen hier? Und: Wie beschreiben sie aus heutiger Sicht Fremdes und Eigenes? Sechs Frauen und Männer haben unsere Fragen beantwortet. Zusätzlich leihen sie uns Objekte, die für sie die Zeit des Übergangs und den Umgang mit der Fremde symbolisieren.
Der Einblick, den uns diese Menschen geben, ist ein exemplarischer, der nicht für alle Migrantinnen und Migranten gilt. Die Erarbeitung dieser Ausstellungsabteilung erfolgte in Kooperation mit der IFAK e.V. Multikulturelle Jugend-, Familien- und Seniorenarbeit.