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Pflegekinderdienst

Bericht aus der Praxis

Pflegekinderdienst

Wie ist es plötzlich Eltern zu sein?

Kinderhände halten eine Hand
Eine Familie werden (Quelle: Stadt Bochum)

Nicht immer sind Eltern in der Lage, ihren Kindern ein Zuhause, Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Hier hilft der städtische Pflegekinderdienst, mit der so genannten Bereitschaftspflege für einen befristeten Zeitraum oder mit langfristiger Perspektive in der Dauerpflege. Wenn ein Kind nicht mehr in seinem ursprünglichen Umfeld bleiben kann, wohnt es bei Pflegevätern und -müttern wie Kathrin Schreiber*).

„Ich bin auf verschiedene Arten Mama geworden - und eben auch durch einen Anruf“, erzählt sie. Wir treffen uns in den Räumlichkeiten des Bochumer Jugendamts. Im Spielzimmer nebenan spielt fröhlich der dreijährige Jonas, der seit gut zwei Jahren in Bereitschaftspflege bei Kathrin Schreiber lebt. Zu ihrer Familie gehören in diesem Moment neben ihrem Mann ihr zehnjähriger Dauerpflegesohn Felix, ihr gemeinsamer Sohn im Grundschulalter, ihre Stieftochter im Teenageralter und Bereitschaftspflegekind Jonas. „Unsere Familie ist bunt gemischt“, erzählt Kathrin Schreiber, eine lebensfrohe Frau Anfang vierzig.

Bei der Bereitschaftspflege geht es oft ganz schnell. „Ich bekomme einen Anruf - mal früher, mal später“, erklärt Kathrin Schreiber. „Dann habe ich die Möglichkeit, mich zu entscheiden. Doch sobald ich ja sage, ist für mich klar: Für dieses Kind bin ich jetzt eine Mama, auch wenn es auf Zeit ist.“ Vieles ist anfangs ungewiss, keine Situation ist gleich. Welche Vorbereitungen trifft man da? „Wenn ich weiß, dass in einer Stunde ein Kind bei mir ankommt, schaue ich nach passender Kleidung, vielleicht auch nach einem Schlafsack, und fange dann an, das Reisebettchen aufzubauen“, sagt Kathrin Schreiber.

In der ersten Nacht geht alles darum, anzukommen und Ruhe zu finden. Deshalb schläft sie anfangs auf der Schlafcouch im Wohnzimmer, um dem Kind in nächster Nähe ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Erst später zieht das Kind in sein eigenes Zimmer. Denn der plötzliche Ortswechsel, die vielen unbekannten Personen – das bedeutet vor allem für kleine Kinder viel Stress und Ungewissheit. „Ich versetze mich emotional in die Situation und sorge für eine Wohlfühlatmosphäre. Ich lege ein Spielzeug oder Kuscheltuch bereit, stelle etwas Kleines zu Essen hin, damit das Kind sieht: Hier werde ich versorgt“, erklärt Schreiber. Meistens klingelt es dann schon. „Oft stehen ein Sozialarbeiter oder die Polizei vor der Tür und übergeben mir ein Kind, das zum Beispiel nicht wettergerecht gekleidet ist oder keine Windel an hat. Dann ist am allerwichtigsten: Wärme schenken, eine Dusche und etwas zu essen“, beschreibt sie den ersten Moment – für das Kind ein Kennenlernen mitten in einer Krise.

Jedes Kind verhält sich unterschiedlich. Anbieten und Abwarten - diese Herangehensweise hat sich bewährt. „Nach dem ersten Schreck möchten manche sofort kuscheln, manche möchten nicht direkt Nähe“, erzählt Kathrin Schreiber. „Einmal war es so, dass sich ein Junge lieber hinter dem Sofa verstecken wollte. Und tatsächlich war er dann sehr empfänglich für unseren Hund, und mit ihm hat er sich dann sicher gefühlt und gekuschelt.“ Kathrin Schreiber möchte den Kindern in diesen Momenten der Unsicherheit vor allem eines vermitteln: „Die Situation ist gerade wirklich bescheiden, aber ich bin an deiner Seite, und wir schaffen es da auch wieder raus.“

Zwar würden die Karten jedes Mal neu gemischt, wenn ein Bereitschaftspflegekind in die Familie kommt, doch Kathrin Schreiber ist froh über die hilfreichen Erfahrungen, die sie sammeln konnte: „Und ich weiß jederzeit, dass ich beim Jugendamt feste Ansprechpartner habe. Es ist wichtig, zum Beispiel in Belastungssituationen, ein offenes Ohr zu finden“, betont sie und meint, „hier kann ich sicher sein, dass das, was ich tue, sehr wertgeschätzt wird.“

Pflegeeltern gehen keinen Schritt allein, an ihrer Seite sind städtische Fachkräfte wie Christoph Sundermann und Julia Schiske vom Jugendamt. Sundermann leitet die Besonderen Pädagogischen Fachdienste, die aus dem Pflegekinderdienst und der Adoptionsvermittlungsstelle bestehen. Julia Schiske und drei Kolleginnen betreuen Kinder, Eltern und Pflegeeltern in der Bereitschaftspflege. Der Fachdienst umfasst 19 weitere Mitarbeitende, die für Verwandten- und Fremdpflege sowie die Adoptionsvermittlung zuständig sind. Vorbereitungsseminare für zukünftige Pflegeeltern werden Bereichsübergreifend angeboten. Paare und Einzelpersonen unabhängig vom Familienstand, Alter, sexueller Orientierung oder geschlechtlicher Identität dürfen sich bewerben. Bis ein solches Seminar beginnt, durchlaufen Interessierte einen Bewerbungsprozess. Dass dieser aus vielen einzelnen Bausteinen besteht, ist nicht nur von Seiten des Pflegekinderdienstes wichtig: „Neben ersten Informationen am Telefon geben wir den Interessierten direkt unseren Fragebogen mit. Denn es geht vor allem darum, dass künftige Pflegeeltern für sich in Ruhe überlegen können: ‚Traue ich mir das zu?‘“, so Schiske. Stimmen die Voraussetzungen, findet ein Hausbesuch statt. Eltern beziehungsweise Einzelpersonen können hierbei erzählen, wie sie sich das Leben mit einem Pflegekind vorstellen, und erhalten hilfreiche Tipps direkt vor Ort. „Wir schauen zum Beispiel, wo das Kind schlafen wird. Und welche Rückzugsmöglichkeiten es hat. Wenn zum Beispiel ein Dauerpflegekind einzieht, muss, zumindest perspektivisch ein eigenes Zimmer vorhanden sein. Bei der Bereitschaftspflege ist das je nach Alter nicht immer notwendig. Beim wichtigsten Teil des Besuchs sind alle gefragt: „Wir unterhalten uns mit jedem, der zur Familie gehört. Denn auch die Meinung der Kinder ist ganz wesentlich in dem Prozess. Zum Beispiel fragen wir, ob sie wissen, was ihre Eltern planen, und ob sie sich das vorstellen können. Hier gibt es keine falschen Antworten, denn es soll schließlich allen mit der Entscheidung gut gehen“, betont Schiske.

Im Anschluss folgt der Vorbereitungsworkshop. Die sechsteilige Schulung startet ab einer Gruppe von circa zehn Interessierten. „Hier geht es gleichzeitig um die Basics, wie rechtliche Angelegenheiten, aber auch um die Vielfalt an Herausforderungen, die auf die Pflegeeltern zukommen können“, sagt Christoph Sundermann und ergänzt: „Beispielsweise gehen wir Fragen nach wie: ‚Wie wäre das damals für mich gewesen?‘ oder ‚Was ist Bindung?‘.“ Besonders wertvoll ist bei dem Seminar das Wissen, das bereits erfahrene Pflegeeltern teilen. „Wir laden ganz bewusst Pflegeeltern ein, die aus ihrem Alltag mit allen Höhen und Tiefen erzählen. Das gibt den werdenden Pflegeeltern einen persönlichen Einblick, der über die Theorie hinausgeht“, sagt Schiske. „Mittlerweile ist auch eine Pflegemutter mit ihrer ehemaligen Pflegetochter dabei. Das ist ein großartiges Netzwerk, das da gewachsen ist.“

Das Seminar sei oft der Teil im Bewerbungsprozess, der den Anwärterinnen und Anwärtern alle Facetten der Pflegeelternschaft bewusst macht. Zum Beispiel, dass ein Pflegekind nicht nur sich, sondern mit seiner Geschichte auch seine leibliche Familie mitbringt. „Viele denken: Da kommt ein Kind zu uns und alles ist gut. Aber dass das Kind Besuchskontakte zu seiner leiblichen Familie und eventuell einen gesetzlichen Vormund hat, ist nicht allen von Anfang an klar“, sagt Julia Schiske. „Wir erklären dann, wie wir die Pflegeeltern begleiten und beraten und warum der Kontakt zur leiblichen Familie oft sehr wichtig für das Kind ist“, bekräftigt Christoph Sundermann. Denn für ihn und Julia Schiske steht vor allem eines im Vordergrund: „Wir suchen für Kinder Eltern und nicht für Eltern Kinder.“

Die eigene Lebensgeschichte ist mittlerweile ein zentraler Bestandteil bei der Arbeit der Pflegekinderdienste. Diese „Biographiearbeit“ gehört ganz selbstverständlich sowohl zur Ausbildung als auch zum Alltag der Pflegeeltern. Denn bevor sie Teil der Biographie eines Kindes werden, horchen die Erwachsenen in den Vorbereitungsseminaren erst in sich selbst hinein: „Am Ende unseres Seminars nehmen die Teilnehmenden Leitfragen mit nach Hause und schreiben auf dieser Basis einen persönlichen Bericht,“, sagt Sundermann. „Es ist ein Geschenk, was man da manchmal als seitenlangen Lebensbericht zurückbekommt. Vielen Teilnehmenden wird dadurch klar: Wir suchen wirklich zusammen.“ Die Erkenntnisse aus der eigenen Biographie sollen die Erwachsenen weiter sensibilisieren und geben Aufschluss darüber, welche Unterstützung sie vom Pflegekinderdienst brauchen, damit sie bereit sind, ein Pflegekind aufzunehmen.

Im Familienalltag hat die Biographiearbeit einen wichtigen Platz: „Die Erinnerungen spielen eine ganz große Rolle für das Leben, das das Kind vor sich hat“, sagt Kathrin Schreiber. Auch wenn die Bereitschaftspflegekinder nicht für immer bei ihr wohnen werden, bedeutet dieser Abschnitt keine Leerstelle in der Lebensgeschichte: „Die Kinder bekommen zum Beispiel immer Alben, um die Zeit, die sie bei uns sind, mit Fotos, Erinnerungen und Geschichten zu füllen.“ Der erste Geburtstag, die erste Torte, die ersten Schritte – Kathrin Schreiber hält alle Meilensteine fest. „Ich gebe damit auch das Gefühl mit auf den Weg, dass das Kind gern gemocht und geliebt wurde und einen festen Platz im Leben hat und auch weiterhin haben wird.“

Auch für Jonas hat sie all diese Erinnerungen sorgsam festgehalten. Nach 25 Monaten bei Familie Schreiber lernt er gerade Schritt für Schritt seine Dauerpflegeeltern kennen, bei denen er in Zukunft wohnen wird. „Mit Jonas haben wir bisher die längste Zeit verbracht, da ist natürlich eine engere Bindung vorhanden“, sagt Kathrin Schreiber. Das Abschiednehmen ist von Anfang an ein Teil der Bereitschaftspflege. „Der Tag, an dem die Kinder wieder ausziehen, da bin ich wirklich traurig“, sagt Schreiber und ergänzt: „Ich habe mittlerweile Rituale, die mir und meiner Familie guttun. Zum Beispiel lasse ich das Kinderzimmer am Abschiedstag unberührt, erst am Tag darauf fange ich an aufzuräumen.“ Sie denkt dann daran, dass nun etwas Schönes auf das Kind zukommt: „Wir nehmen uns an dem Tag nichts vor, gehen vielleicht als ganze Familie spazieren und versuchen den Fokus darauf zu legen, wie gut es das Kind jetzt in der neuen Familie hat.“

Meist vergehen ein paar Wochen, bis jemand Neues zu den Schreibers stößt. Eine Atempause, um sich zu sammeln, Familienzeit zu verbringen und das Nest vorzubereiten. Und wenn das Telefon wieder klingelt, ist bei aller Ungewissheit eines sicher: Wärme gibt es immer genug.

* Um die Privatsphäre der Pflegemutter und der Pflegekinder zu wahren, wurden die Namen geändert

Bochumer*innen, die sich für die Elternschaft in Dauer- oder Bereitschaftspflege interessieren, können sich an den städtischen Pflegekinderdienst wenden. Pflegeeltern müssen einen Bewerbungsbogen ausfüllen, den man sich zusenden lassen oder als Download selbst ausdrucken kann. Ferner wird ein ärztliches Gesundheitsattest und ein polizeiliches Führungszeugnis sowie eine Schufa-Selbstauskunft verlangt. Sollten die Voraussetzungen erfüllt sein, folgen sechs mehrstündige Vorbereitungskurse, in denen rechtliche Grundlagen vermittelt und allgemeine Informationen gegeben werden.

Haben Sie Interesse, sich gemeinsam auf diesen herausfordernden und gleichzeitig lebensbereichernden Weg zu begeben, wenden Sie sich bitte für einen persönlichen Kontakt an:

  • Kanzlei, Telefon: 0234 910-3097
  • Frau Schiske, Telefon: 0234 910-3733
  • Herrn Sundermann, Telefon: 0234 910-1382

Weitere Hintergrundinformationen gibt es online unter: www.bochum.de/Pflegefamilie