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Porträts bedeutender historischer Bochumer Frauen

Lore Agnes

Porträts bedeutender historischer Bochumer Frauen

Porträt von F(Lore Agnes (links) zusammen mit Clara Zetkin (Mitte) und Mathilde Wurm (rechts) vor dem Reichstag in Berlin, 1919)rau Lore Agnes, gehörte 1919 unter anderem zu den ersten Frauen im deutschen Reichstag, schwarz-weiß Aufnahme
(Lore Agnes (links) zusammen mit Clara Zetkin (Mitte) und Mathilde Wurm (rechts) vor dem Reichstag in Berlin, 1919)

1876 bis 1953

Wer kennt es nicht, das legendäre Bild von Clara Zetkin vor dem Reichstag, mit ihrem Stock in der Hand und von ihren Mitstreiterinnen flankiert? Diese Mitstreiterinnen sind die SPD-Politikerinnen Mathilde Wurm aus Frankfurt und Lore Agnes – aus Bochum!

Wie weit Lore Agnes, geboren als Laura Benning, Tochter eines Bochumer Bergmanns und Fabrikarbeiters, es einmal bringen würde ahnt zunächst niemand.
Am 4. Juni 1876 wird sie als eines von vielen Kindern der Eheleute Martin und Laura (geb. Müller) Benning geboren. Der Vater stirbt früh, die Familie ist arm. Nach ihrem Volksschulbesuch wird Lore – wie für Arbeitertöchter oft üblich – Dienstmädchen. Das bedeutet für die 13-jährige ein hartes Leben mit langen Arbeitstagen, Erschöpfung und Einsamkeit. Und weil sie in Düsseldorf arbeitet, kommt auch noch Heimweh dazu. Als Hausangestellte hat sie höchstens alle zwei Wochen einen freien Tag, ihr Lohn ist nicht viel mehr als Kost und Logis, ihr Schlafplatz ist eine kalte Dachkammer. Das einzige was ihr Ablenkung, Trost und Hoffnung schenkt, ist, ihre Nase in Bücher und Zeitungen zu stecken wann immer sie kann.

Womöglich hat sie so schon damals von Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung erfahren. Zurück in Bochum heiratet Lore Benning 1894 den Schneidermeister Wilhelm August Herzig, von dem sie schwanger ist. Sechs Monate später kommt ihr Sohn Wilhelm zur Welt. In den folgenden Jahren ist Lore Herzig Hausfrau und Mutter.

1905 kommt der 28-jährige Peter Agnes aus Euskirchen nach Bochum. Er ist – wie Wilhelm Herzig – von Haus aus Schneider. Der begeisterte Gewerkschafter und Sozialdemokrat tritt eine Stelle als Redakteur beim Bochumer Volksblatt an. Ob es ein Text von Peter Agnes war, der Lore Herzig eines Tages in die Redaktion des Volksblatts geführt hat oder sich die beiden bei anderer Gelegenheit irgendwo in Bochum über den Weg liefen: Beide entdecken schnell ihr gemeinsames Interesse für Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung – und sind einander auch sonst sehr zugetan.

Im April 1906 lässt Lore Herzig sich von Wilhelm August scheiden. Sie geht mit Peter Agnes nach Düsseldorf, wo die beiden am 28. Juli des selben Jahres heiraten. Peter Agnes macht sich dort mit einer Maßschneiderei selbstständig, und Lore Agnes ist endlich in einem Kontext, in dem Raum für ihre Ideen und ihr Engagement ist. Das Paar bekommt am 17. April 1907 Tochter Franziska Luise und am 19. Februar 1910 Sohn Peter Alfred. Lore Agnes ist nun Hausfrau, Mutter und Politikerin. Parteisekretär Peter Berten berichtet in seiner Autobiografie über einen Besuch des Ehepaares Agnes in seinem Büro: „Von da ab ging‘s dann auch mit der Frauenpropaganda in vollen Touren weiter.“

Und tatsächlich: SPD-Veranstaltungen sowie Frauenversammlungen haben großen Zulauf, sobald Lore Agnes auf dem Programm steht. In flammenden Reden macht sie sich für das Frauenwahlrecht stark, für den Zugang zu Parlamenten und Universitäten. In Düsseldorf treten fortan auffällig viele Frauen in die SPD ein: „Der Grund für diese Erscheinungen,“ schreibt Regierungspräsident Dr. Hertzen 1912 an den Reichsinnenminister, „ist wohl hauptsächlich, dass daselbst eine sehr intelligente und redegewandte Frau, Lore Agnes, an der Spitze der Bewegung steht.“

Sie wir außerdem schnell zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Arbeiterbewegung und Hausangestellten. Denn sie weiß aus eigener Erfahrung, wie sehr es dem meist jungen weiblichen Dienstpersonal an Fürsorge, Bildung, Mut und gewerkschaftlicher Organisation mangelt. Daher geht sie am Niederrhein zu Fuß von Ort zu Ort, um AnhängerInnen zu finden. Außerdem setzt sie sich für den Schutz von Arbeiterkindern ein und wirkt maßgeblich an Aufbau und Organisation der AWO mit, sowohl in Düsseldorf als auch in ihrer Heimatstadt Bochum Als die sozialistische Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ als zu theoretisch kritisiert wird, spricht sie sich mit Clara Zetkin dafür aus, nicht die Zeitschrift einfacher zu machen, sondern die potenziellen Leserinnen zu schulen und aufzuklären, damit diese die Texte in der „Gleichheit“ verstehen können. Hier zeigt sich einmal mehr, dass Lesen und Bildung für Lore Agnes hoch geschätzt werden als Mittel, das eigene Leben und die Gesellschaft zu verändern.

1914 spricht sie als überzeugte Kriegsgegnerin auf einer großen Friedenskundgebung in Düsseldorf und kommt dafür einige Wochen ins Gefängnis. Als es 1915 zur Verhandlung kommt, hält Lore Agnes vor Gericht ein einstündiges Schlusswort. Das Gericht ist so beeindruckt, dass die Schutzhaft aufgehoben wird. Doch ihre anti-militaristische Position führt in den Kriegsjahren zu Redeverboten und Überwachung seitens der Behörden. Lore Agnes lässt sich trotz Einschränkungen und Verhaftungen nicht von ihrer politische Arbeit abhalten. 1915 nimmt sie an der Berner Friedenskonferenz teil. 1917 tritt sie der USPD bei und reist zu einer internationalen Frauenkonferenz nach Zürich – ohne Pass. Ob sie sich um diesen vergeblich bemüht hat oder absichtlich ohne ihn gefahren ist, kann im Nachhinein auch ihre Freundin Marie Juchacz nicht beantworten.

Sicher ist: Gleich nach ihrer Rückkehr wird Lore Agnes erneut festgenommen.

Nach dem ersten Weltkrieg ist sie aufgrund ihres mutigen Engagements in den vergangenen Jahren schnell im Gespräch für politische Funktionen auf nationaler Ebene. 1919 wird sie als eine von drei weiblichen Abgeordneten der USPD in die gesetzgebende Nationalversammlung gewählt und im folgenden Jahr in den Reichstag: Im Wahlkreis Düsseldorf steht Lore Agnes auf Platz 1 der Liste der USPD – das höchst ungewöhnlich und zeigt ihre Popularität. Denn Frauen standen meist auf hinteren Listenplätzen und bekamen entsprechend weniger Stimmen. Ab 1924 ist Lore Agnes wieder Mitglied der SPD und sitzt bis 1933 für die Partei im Reichstag. In Berlin wohnt sie bei ihrer Parteikollegin, der Politikerin und Sozialarbeiterin Mathilde Wurm, mit Clara Zetkin und Rosa Luxemburg ist sie befreundet.

Peter Agnes ist seit 1919 Gewerkschaftssekretär und setzt sich zu Beginn der 20er Jahre im Austausch mit der französischen Besatzung in Düsseldorf für die Interessen der ArbeiterInnen ein. Er sorgt durch ständigen Dialog, Vermittlung und rechtzeitige Anmeldung dafür, dass es bei Demonstrationen oder Streiks nicht zu Zusammenstößen mit der französischen Polizei oder Armee kommt. Ab 1927 ist der wieder als Schneidermeister tätig.

1933 wird Lore Agnes ein letztes Mal in den Reichstag gewählt. Sie ist eine von 93 Abgeordneten, die gegen das Ermächtigungsgesetz stimmen. Kurz nach einer Gallenblasenoperation wird sie festgenommen und nach zwei Wochen – die Wunde der Operation ist noch offen – als haftunfähig entlassen. In folgenden Jahren kommt Lore Agnes immer wieder Gefängnis und ist auch sonst Beschimpfungen, Hausdurchsuchungen und anderen Schikanen ausgesetzt, zeitweilig muss sie im Untergrund leben.

Ihr Sohn Peter Alfred, selbst Vater eines 7-jährigen Sohnes, fällt am 8. Dezember 1941 im Krieg. Ihr Mann, seit 1933 Invalide, wird 1942 von der Gestapo verhaftet und verhört. Sein Einsatz für Düsseldorfer ArbeiterInnen im Austausch mit der französischen Besatzungsmacht in den früher 1920er Jahren wird ihm nun als Landesverrat ausgelegt. Peter Agnes ist zu dem Zeitpunkt 65 Jahre alt. Sein Verfahren wird nach einigen Monaten eingestellt mit der Begründung: „a) zu alt, zu krank, nicht lagerfähig“, zudem wird darauf hingewiesen, dass sein Sohn Peter Alfred gefallen ist. Am 27. August 1942 stirbt Peter Agnes im Düsseldorfer Theresienhospital an einem diabetischen Koma. Im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 wird Lore Agnes erneut inhaftiert. Wie sie diese vielen schrecklichen Erfahrungen verkraftet hat, ist schwer vorstellbar.

Doch Lore Agnes gibt nicht auf: 1945 wird sie wieder in der SPD aktiv – wie übrigens auch ihr Sohn aus erster Ehe, Wilhelm Herzig – und hilft bei ihrem Aufbau. Auch für die Arbeiterwohlfahrt engagiert sie sich. Daneben kämpft sie jahrelang um ihre Entschädigung als Verfolgte des NS-Regimes: Zahlungen werden ihr zunächst mit der Begründung verwehrt, sie sei nicht lange genug in Haft gewesen. Trotz ihrer materiell schwierigen Situation ist es für sie Ehrensache, ihre Mitgliedsbeiträge zu zahlen und verschiedene Organisationen zu unterstützen. In Behördenformularen schreibt sie in den Feldern „Ausbildung“ und „Beruf“ selbstbewusst: Hausangestellte. Bis zuletzt führt sie ihre politische Arbeit fort: Während einer sozialdemokratischen Frauenkonferenz in Köln wird sie krank und stirbt am 9. Juni 1953.

Das vielfältige und unermüdliche Engagement dieser großen Politikerin mit Bochumer Wurzeln bildet sich ab in den vielen Benennungen, die Lore Agnes gewidmet sind in den Bereichen Bildung und Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und Fürsorge: Sie ist Namensgeberin des Lore-Agnes-Programms an der Ruhr-Universität Bochum in dessen Rahmen der mit 15.000 Euro dotierte Lore-Agnes-Preis an Gleichstellungsprojekte verliehen wird. Außerhalb Bochums gibt es ein Lore-Agnes-Haus in Düsseldorf-Wersten, dabei handelt es sich um ein Gerontopsychiatrisches Pflegeheim der AWO. Im Lore-Agnes-Haus der AWO in Essen findet unter anderem Schwangerschaftsberatung statt. In Radevormwald und Duisburg Walsum wurden Kindergärten nach ihr benannt, ebenso Straßen in Düsseldorf und Duisburg. Seit dem 22. August 2023 heißt der ehemalige Clubraum der Volkshochschule und Stadtbücherei Bochum Lore-Agnes-Raum.

Die Literaturangaben und weitere Leseempfehlungen finden Sie im Porträt (PDF-Datei) auf dieser Internetseite.