geboren am 29. August 1927
verstorben am 7. August 2020
SPD-Ortsverein Wattenscheid, Ehemaliges Ratsmitglied über mehrere Legislaturperioden, Ehrenring der Stadt Bochum 1994
Irmgard Scheinhardt
Porträts zeitgenössischer Bochumer Frauen

Interviewtermin: Januar 2005
Irmgard Scheinhardt brach ein in die Männerbünde: 1972 war die damals 45jährige die erste Frau als stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende in Wattenscheid. 1973 wurde sie Vorsitzende des SPD-Ortsvereins und bei der Kommunalwahl 1975 die erste Frau, die direkt einen Wahlkreis gewann: nämlich ihren in Wattenscheid-Mitte.
Darauf ist sie stolz, denn sie hatte ihren Platz im Rat nicht wie die wenigen anderen Frauen "von Männergnaden über die Reserveliste" erhalten. Ihren Platz im Rat behielt sie bis 1994 - solange sie kandidierte, wurde die aufrichtige Sozialdemokratin immer wieder gewählt.
Als sie den Rat verließ, verlor der unter anderem eine engagierte Gesundheitsausschuss-Vorsitzende.
Dafür gewann der Verein "Die Brücke" eine bis heute hochmotivierte und tatkräftige Vize-Präsidentin. 1982 wurde der Verein von der gebürtigen Günnigfelderin mitbegründet. Er hat zum Ziel, die Situation psychisch Kranker zu verbessern.
Viele der im Gesundheitsbereich durchgesetzten Errungenschaften sind ihr Verdienst. Besonders widmete sich die engagierte Ratsfrau der Verbesserung der Betreuung psychisch kranker Menschen in Bochum und Wattenscheid.
Als die Mutter von zwei Kindern sich nach der Erziehungsphase der politischen Arbeit wieder mehr zuwandte, stand die Behebung der Missstände in diesem Bereich an. Eine Untersuchung (Psychiatrie Enquete) der Bundesregierung gab Anfang der 80er Jahre unter anderem den Anstoß dafür. "Bis dahin gab es nur einen Amts-Psychiater, eine Sprechstundenhilfe, eine Schreibkraft bei der Stadt Bochum und im Etat ein paar hundert Mark für den Unterhalt von Beruhigungszimmern", erinnert sich Irmgard Scheinhardt.
Aus persönlicher Betroffenheit hatte sie ein offenes Ohr für die Probleme, die Mutter einer Freundin war psychisch krank, die eigene Tochter begann ein Psychologiestudium.
In der Fraktion gab es für das Thema wenig Interesse. Mit den Worten der Tochter aus einer sozialdemokratischen Bergarbeiterfamilie heißt das: "In der Fraktion konnte man auch mit wenig Kenntnissen viel Eindruck machen. Es war ein dankbares Gebiet." Ihre Kenntnisse waren allerdings fundiert. Mit viel Engagement und der Fähigkeit, die verschiedenen Leute zusammenzuführen, konnte sie nicht nur viel Eindruck machen, sondern in der Tat viel erreichen.
1980 wurde auf Initiative von Irmgard Scheinhardt der Psychosoziale Ausschuss gegründet. Damit wurde ein Netzwerk geschaffen, das bis dahin einmalig war. Sie schaffte es, alle an einen Tisch zu bringen, die mit den betroffenen Menschen zu tun hatten: Gesundheitsverwaltung, Landschaftsverband Westfalen Lippe, die Sozialverbände: DPWV, Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt, Krankenkassen, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte. Es entstanden Kontakt- und Beratungsstellen, Tagesstätten und betreutes Wohnen - ganz ohne Modellförderungsmittel.
Als Gründungsmitglied des Vereins "Die Brücke " kümmerte sie sich speziell in Wattenscheid um die verbesserte Versorgung psychisch Kranker. 2004 konnte der Verein sein eigenes Haus eröffnen. Durch eine Erbschaft und das Engagement von Irmgard Scheinhardt wurde der Kauf ermöglicht. Nicht zuletzt bewerkstelligte sie als ehrenamtliche "Bauleiterin" mit 76 Jahren den Umbau.
Sozialdemokratische Überzeugung und Engagement waren Familientradition Schon in der Weimarer Republik waren Eltern und Großeltern in der Partei aktiv. Irmgard Scheinhardt gründete bereits 1945 die Jugendorganisation "Die Falken" neu in Wattenscheid und trat 1946, mit 19 Jahren, in die SPD ein.
Am Herzen lagen ihr auch die Friedenspolitik und die Schulpolitik. Als SPD-Ortsvereinsvorsitzende unterstützte sie die Ostermärsche, was längst nicht jeder SPD Ortsverein tat. Der Kampf um die Gesamtschule ging in den 80er Jahren verloren. Das bedauert sie. In heutiger Zeit sieht sich die Sozialdemokratin von den Ergebnissen der PISA-Studie bestätigt. "Damals waren die Leute und die Gesellschaft noch nicht reif für die Gesamtschule", meint sie heute rückblickend.