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Denkmalgeschützte Siedlung Gewerkenstraße

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Erläuterungen

Siedlung Gewerkenstraße, ehemalige Zwangsarbeitersiedlung mit folgendem Denkmalumfang:
Denkmalwert ist in der Siedlung Gewerkenstraße die in der Anlage gekennzeichnete Fläche der Siedlung mit ihren aufstehenden und untertägigen Bauten. Hierbei handelt es sich um die eingeschossigen Barackenbauten, die beiden hohen Industriebauten innerhalb der Siedlung, die Grenzmauer mit dem Tor am Eingang der Siedlungszufahrt von der Gewerkenstraße sowie die Stützmauern an der Siedlungsseite zum Bövinghauser Hellweg und zum ehemaligen Zechenplatz. Hier ist auch auf die Brüstungsgitter mit Jugendstilornamenten zu verweisen. Unterhalb der Gebäude mit der heutigen Nr. 1 und 3 befinden sich große Luftschutzkeller, die möglicherweise in zur Zeit unbekannte Fortsetzungsbauten münden, auch die Luftschutzanlagen unterhalb der Gebäude sowie weitere Schutzanlagen unter den Freiflächen sind denkmalwert.

Die Baracken sind denkmalwert mit ihren Außenwänden, dem flachgeneigten Dach und der inneren tragenden Konstruktion. Nicht denkmalwert sind Anbauten, Umbauten sowie Dachaufbauten aus der Zeit nach 1966, dem Schließungsjahr der Schachtanlage.

Der Denkmalwert der Industriebauten beschränkt sich auf die Fassaden, das Dach und das konstruktive Gerüst.

Baujahr: um 1940

Wesentliche charakteristische Merkmale:
Das Zwangsarbeiterlager an der Gewerkenstraße entstand - wahrscheinlich um 1940 auf dem Gelände der Schachtanlage Lothringen 111 in Bochum-Gerthe. Das Lager umfasste 1945 elf Wohnbaracken, von denen neun erhalten sind. Nach 1945 diente das Lager als Unterkunft für neu angeworbene Bergarbeiter und später für "Gastarbeiter".

Die Häuser sind eingeschossig und durch ein flach geneigtes Satteldach mit Teerpappe gedeckt. Zahlreiche Dachaufbauten vermitteln heute einen sehr abwechslungsreichen Eindruck der Gebäude. Starke Veränderungen weisen die Gebäude im Inneren auf, wo die Grundrisse unsystematisch den Bedürfnissen der Bewohner angepasst wurden. Verändert sind auch die Fenster und Eingänge. Das alles sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der wesentliche Charakter der Siedlung in Grundriss und Hauskörpern ablesbar und aussagefähig geblieben ist.

Die Wohngebäude gruppieren sich um zwei ältere, hohe Ziegelbauten: Ein Schalthaus / Elektrozentrale und eine Waschkaue, die als Bestandteil des Lagers bedeutend sind, denn sie bestimmen die Situation des Lagers "städtebaulich" und bezeugen den industriellen Einsatzort der Zwangsarbeiter. Die beiden Bauten werden um 1901 bis 1903 mit dem Abteufen des Schachtes 111 errichtet worden sein, wobei die Waschkaue zu dieser Zeit noch als Pumpenhaus gedient haben soll. 1947/48 wurde das Schalthaus mit Transformatoren ausgerüstet.

Ursprünglich, das heißt von etwa 1940 bis etwa 1946, waren die Baracken sehr wahrscheinlich durch einen langen, firstparallelen Gang von Giebelseite zu Giebelseite erschlossen, an denen rechts und links zehn Schlafräume lagen.  Erhaltene Pläne der gleichartigen, längst abgerissenen Zwangsarbeiterlager an der Bochumer Brüllstraße und Hüttenstraße sowie der Gebäudebefund lassen diesen Rückschluss zu. Zu Haus 7 soll es Pläne aus dem Jahr 1952 geben, die den Umbau des Gebäudes zum Ledigenheim darstellen.

Die Zeche gehörte der Bergbau-Aktiengesellschaft Lothringen aus Bochum. Das Lager war ihr zugeordnet. Die Schachtanlage III bestand von 1901 bis 1966.

Die genaue Verteilung der Zwangsarbeiter auf die im Zechengelände Schacht III vorhandenen Lager ist zum Teil unklar. Für die Schachtanlage wurde aufgelistet: 98 männliche "Ostarbeiter" und 315 Kriegsgefangene, die wie allgemein bekannt und auch für Schacht 111 belegt, zur Zwangsarbeit herangezogen wurden.

Zivile "Ostarbeiter" und Kriegsgefangene waren zumindest einige Jahre in getrennten Lagern untergebracht, wobei das hier gemeinte Lager Gewerkenstraße 12 zuerst für Kriegsgefangene vorgesehen war. Aus einer Handskizze, die der 1928 geborene russische Staatsbürger Wladimir Zidelko 1994 den Schacht III anfertigte, sind zwei unmittelbar benachbarte Lager eingezeichnet. Zidelko war 1941 bis 1945 als ziviler "Ostarbeiter" in der Gewerkenstraße 12 untergebracht, in welchen Jahren genau, ist aber nicht bekannt.

In Listen aus der NS-Zeit für die Jahre 1943 und 1945 werden außerdem neun Zwangsarbeiter auf der Schachtanlage der IG-Farbenindustrie zugeordnet. Die IGFarben war 1926 Anteilseigner der Lothringen AG geworden, 1931 wurden allerdings die hierfür ausschlaggebenden Chemischen Werke Lothringen geschlossen. Ob und welche Zusammenhänge hier bis 1943 bestehen blieben oder neu geknüpft wurden, ist offen.

Zidelko gab auch die Funktion der einzelnen Baracken an. Demnach war im heutigen Haus 4 die Lagerwache untergebracht. Dazu passt, dass im Luftbild von 1945 diesem Haus ein bunkerähnlicher Trakt zugeordnet zu sein scheint, der heute nicht mehr besteht. Haus 2 war die "Küche für Kriegsgefangene". Die weiteren hier zur Rede stehenden Baracken gibt Zidelko als "Kriegsgefangenenlager" an, in dem Russen und Italiener untergebracht waren.

Italiener können hier kaum vor September 1943 als Kriegsgefangene gewesen sein, da der italienische Faschismus im Juli 1943 endete und Italien erst Mitte Oktober den Alliierten beitrat. Das andere "Lager für Zivilisten", also russische Zwangsarbeiter, ist allerdings auf einer Luftaufnahme vom März 1945 schon nicht mehr vorhanden.

Die hier zur Rede stehenden Bauten haben demnach wohl erst als Unterkunft für kriegsgefangene Zwangsarbeiter und dann anscheinend erst in den letzten Kriegsmonaten für zivile Zwangsarbeiter gedient.

Aus der Literatur heraus ist keine eindeutige Klarheit zu gewinnen, alle Hinweise sprechen für die hier wiedergegebene Interpretation.

Zum Baujahr der Siedlung finden sich kaum Angaben. Luftauswertungen haben aber gezeigt, dass die Baracken 1926 noch nicht existiert haben. Auch aus dem Jahr 1936 existiert ein Foto des Geländes, auf dem noch keine Unterkünfte vorhanden sind. Damit ist die Behauptung widerlegt, diese Bauten seien schon in den 1920er Jahren für "italienische Gastarbeiter" bestimmt gewesen. Hier liegt sicherlich eine Verwechslung mit italienischen Kriegsgefangenen vor.

Gegen einen Bau der Siedlung vor 1940 mit einer entsprechenden Anwerbung italienischer "Fremdarbeiter" spricht auch die wirtschaftliche Lage in Deutschland, denn die hohen Arbeitslosenzahlen zwischen 1926 und 1932 ließen eine Anwerbung ausländischer Bergleute nicht zu. 1933 bis 1938 wurden ausländische Arbeitnehmer, die noch im Deutschen Reich arbeiteten, sogar ausgewiesen. Erst 1938 wurde im Rahmen der Kriegskonjunktur allgemein ein Arbeitskräftemangel spürbar.

Noch 1932 melden die Geschäftsberichte der Lothringer AG eine Verringerung der Belegschaft. 1940 berichtet aus diesem Zusammenhang die Lothringen AG ausdrücklich von einer "erstmaligen" Anforderung von Zwangsarbeitern in diesem Jahr: "Die entstandenen Lücken konnten zahlenmäßig durch Anlegung ausländischer, zumeist bergfremder Arbeitskräfte geschlossen werden. Die Leistung der neuen Gefolgsmänner blieb jedoch auch nach Ablauf einer angemessenen Einarbeitungsfrist nicht unwesentlich hinter der unserer Stammgefolgschaft zurück." Diese Angaben finden sich ähnlich auch in der unter anderem Dokumentation Bochumer Kulturrates, 1945 sollen rund die Hälfte der etwa 3200 Mann Lothringer Belegschaft Zwangsarbeiter gewesen sein.

Es ist also davon auszugehen, dass die Siedlung erst 1940 eigens für Zwangsarbeiter Unterbringung errichtet wurde. Da sie überdies anderen zu dieser Zeit in Bochum errichteten Baracken für Zwangsarbeiter in Bauart und Aussehen gleicht, spricht auch dies für das späte Baudatum um 1940. Gemeint sind hier die erwähnten, seit längerer Zeit nicht mehr vorhandenen Lager an der Brüll- und an der Hüttenstraße.

In der Siedlung befinden sich Luftschutzkeller unter den Häusern Nr. 1 und 3. Die Keller sind breiter als die aufstehenden Baracken und hatten, wie eine Treppe in Haus 1 deutlich zeigt, mehr Eingänge als heute vorhanden. Aus der oben erwähnten Skizze von Zidelko geht überdies hervor, dass es einen weit entfernten Notausgang gegeben haben könnte.

Der Keller unter Haus 3 scheint aus dem Umbau eines ehemaligen Fundamentes für eine Betriebsanlage entstanden zu sein. Hohe gemauerte Maschinensockel und der zweischichtige Aufbau der Wand lassen darauf schließen. So erklärt sich auch die unterschiedliche Grundfläche des Kellers und der aufstehenden Baracke. Raumaufteilung und die Stärke der Unterzüge im Keller lassen keinen Zweifel daran, dass es sich hier um einen eigens hergerichteten Luftschutzraum für eine hohe Zahl von Personen handelt.

Ob der durch die hangausgleichenden Stützmauern gebildete Sockel, auf dem die Siedlung liegt, weitere Kammern enthält, ist zur Zeit nicht prüfbar. Einen Hinweis darauf scheinen zugemauerte Bögen an der Stützmauer zum Zechenplatz zu geben, zumal in einer anderen ähnlichen Wand am Zechenplatz die Bögen offen sind und Luftschutzanlagen enthalten. Andererseits ist es aber so, dass diese Mauern auf zwei Aufnahmen von 1908 und etwa 1910 geschlossen sind.

Der Arbeitsgemeinschaft Historischer Modell- und Festungsbau Bochum liegen Unterlagen vor, in denen von der an das Lager angrenzenden Ostwaldstraße fünf Luftschutzanlagen für insgesamt 1.400 Personen verzeichnet sind. Eine Begehung der oben angegebenen Keller ergab zumindest Hinweise auf eventuell vorhandene noch darunter liegende, aber unzugängliche Räume.

Alle gesichteten Aufnahmen zeigen im Übrigen, dass das Gelände der Siedlung bis zum Bau der Baracken 1940 im wesentlichen ungenutzt gewesen zu sein scheint und als Haldenraum diente.

Die Gebäude wurden in den ersten Nachkriegsjahren wohl in kleinere und komfortablere Wohneinheiten aufgeteilt. Sie dienten erst deutschen, neu angeworbenen Bergarbeitern als Ledigenheim, dann "Gastarbeitern" als Unterkunft. Um 1983 übernahm der ASTA der Ruhr-Uni Bochum die Häuser und baute sie ein weiteres Mal für ein studentisches Wohnprojekt so um, wie die Häuser heute vorzufinden sind.

Aufnahmen von Häusern der Siedlung Gewerkenstraße (Quelle: Stadt Bochum)

Projektleiterin
Amt für Stadtplanung und Wohnen

Frau Sievering

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